Sonntag, 26. Mai 2013





Bürgerbeteiligung in Bremerhaven?




„Eigentlich“ gibt es in Bremerhaven die Möglichkeit über ein Bürgerbegehren und anschließendem  Bürgerentscheid direkte Demokratie zu leben, eigentlich.


Aber wie bei vielen Verordnungen die für mehr Mitsprache der Bürger sorgen sollen wurden auch in den §§ 15b und 15c der Bremerhavener Stadtverfassung viele Einschränkungen und Ausnahmen eingebaut, die eine tatsächliche Beteiligung verhindert.
Um zu erkennen, wie wenig bürgerfreundlich die Verfassung der Stadt Bremerhaven mit dem Thema direkte Demokratie umgeht ist ein Vergleich mit dem meiner Meinung nach deutlich besseren Regelungen in Bayern erforderlich.
Bayern als Flächenstaat hat unterschiedliche Gemeindegrößen und daher bereits bei der Eingangsvoraussetzung, der Mindestbeteiligung einen je nach Einwohnerzahl gleitenden Prozentsatz. Für eine Gemeinde/Stadt der Größe Bremerhavens (ca. 113.000) sind daher 5 % der Bürger für ein Bürgerbegehren notwendig, in Bremerhaven sind es 7,5 %. Scheinbar ein kleiner Unterschied, aber wer schon einmal Unterschriften mit Adressen sammeln durfte erkennt diese hohe Hürde.
Es müssen 50% mehr Unterschriften in Bremerhaven gesammelt werden als in einer vergleichbaren Stadt in Bayern!
Über die Zulässigkeit des Begehrens stimmt die Stadtverordnetenversammlung ab und kann sich dabei dreimal so lang Zeit lassen wie in Bayern. Es wird halt gründlich geprüft im Norden, ob der Bürger ein Begehren äußern darf!
Schwerwiegender ist es allerdings für jeden Bürger, dass er  „einen nach den gesetzlichen Bestimmungen durchführbaren Vorschlag für die Deckung der Kosten der verlangten Maßnahme“ beibringen soll. Sollte also ein Bürger auf die Idee kommen wollen, den Hafentunnel durch eine andere Anbindung zu ersetzen, muss er erst einmal eine Kostenschätzung beibringen. So etwas geschieht, nach den gesetzlichen Bestimmungen, anhand eines Gutachtens. Solch eine Bestimmung kann jedes Bürgerbegehren verhindern.
Sollten doch alle diese Klippen umschifft worden sein und das Bürgerbegehren hatte Erfolg, kommt es zum Bürgerentscheid. Zumindest sollte das so sein.

Jetzt greifen aber diverse Ausnahmebestimmungen die ich anhand der Regelungen in Bayern einmal gegenüberstelle:

Bayern

Ausgeschlossen sind Bürgerentscheide zu folgenden Themen:
-zu Angelegenheiten, die kraft Gesetz dem ersten Bürgermeister (Landrat) obliegen
-zu Fragen der inneren Organisation der Gemeindeverwaltung (Kreisverwaltung)
-zu den Rechtsverhältnisse der Gemeinderatsmitglieder (Kreisräte), der   Bürgermeister (des Landrats) und der Gemeindebediensteten (Kreisbediensteten)
-zur Haushaltssatzung


Bremerhaven

(2) Ein Bürgerentscheid findet nicht statt über:
1. Angelegenheiten, für die die Stadtverordnetenversammlung keine Zuständigkeit besitzt,
2. folgende Ortsgesetze:
a) die Verfassung für die Stadt Bremerhaven,
b) das Entschädigungsortsgesetz,
c) das Ortsgesetz über die Zahl der Mitglieder des Magistrats in der Stadt Bremerhaven, 
d) das Ortsgesetz zur Ausführung der Landeshaushaltsordnung in der Stadt Bremerhaven und der Verfassung für die Stadt Bremerhaven,
e) die Satzung des Rates der ausländischen Mitbürgerinnen und Mitbürger für die Stadt Bremerhaven,
f) die Wahlordnung für den Rat der ausländischen Mitbürger/innen für die Stadt Bremerhaven,
3. Fragen der inneren Organisation der Verwaltung der Stadt,
4. die Rechtsverhältnisse der Stadtverordneten, Magistratsmitglieder und der Bediensteten der Stadt,
5. die Haushaltssatzung und den Haushaltsplan mit den Anlagen (einschließlich der Wirtschaftspläne der Eigenbetriebe) und die öffentlichen Abgaben und privatrechtlichen Entgelte,
6. die Feststellung der Jahresrechnung der Stadt und die Jahresabschlüsse der Eigenbetriebe sowie die Entlastung des Magistrats,
7. die Errichtung, Erweiterung, Übernahme und Veräußerung von wirtschaftlichen Unternehmen sowie die Beteiligung an diesen und die Umwandlung der Rechtsform von Eigenbetrieben oder wirtschaftlichen Unternehmen, an denen die Stadt beteiligt ist,
8. Entscheidungen über Rechtsmittel und Rechtsstreitigkeiten. 

Bremerhaven schlechter als Bayern
In Bremerhaven gibt es also nicht nur deutlich mehr Ausnahmen. Es sind auch sehr bedeutende Bereiche ausgenommen, die auf dem ersten Blick nicht als solche erkennbar sind.
So ist als wichtiger Bereich die Stadtverfassung selbst zu nennen. Da auch der Bereich Bürgerbegehren in dieser geregelt wird, haben die Bürger Bremerhavens nicht einmal die Möglichkeit, über ihre eigene Mitbestimmung zu entscheiden. Offensichtlich hat die Stadtverordnetenversammlung, die 1995 die entsprechende Gesetzgebung in die Wege leitete, ihren eigenen Bürgern  nicht viel zugetraut. Oder hatte sie etwa Angst vor den eigenen Bürgern?
Das die Stadtverordneten ihre Aufwandsentschädigung (Entschädigungsortsgesetz) und ihre Anzahl nicht vom Bürger bestimmt haben möchten, ist nur am Rande erwähnenswert.
Ein besonders erwähnenswerter Bereich ist unter Punkt 7 zusammengefasst, die der Beteiligungen an wirtschaftlichen Unternehmen. Wie viel Entscheidungskompetenz die Stadt Bremerhaven mittlerweile in solche „wirtschaftlichen Unternehmen“ ausgelagert hat, ist an der Öffentlichkeit größtenteils vorbei gegangen. Oder hätten Sie gewusst, dass zwar die Bauleitplanung durch das Bauamt erfolgt, diese aber den Bedürfnissen der Wirtschaftsförderung untergeordnet werden und diese in Form der BIS als eigenständiges Wirtschaftsunternehmen organisiert ist?
Die Liste der eigenständigen „Wirtschaftsunternehmen“ ist lang. Von der AfZ über die BBU bis zur Stäwog sind viele Bereiche ausgegliedert. Der Bürger hat weder die Möglichkeit, diese Gesellschaften zu kontrollieren, noch deren „außerparlamentarische Organisation“ Einhalt zu gebieten.
Hier macht die Stadtregierung im wahrsten Worte was sie will.
Demokratie sieht anders aus!
Nun tagt ja seit Februar 2013 der „Ausschuss zur Reform der Stadtverfassung und Verbesserung der Bürgerbeteiligung“, die §§ 15 folgende wurde bis heute allerdings immer ausgenommen.
Ich wünsche mir, dass der Ausschuss den Mut hat, die Bürger dieser Stadt bei politischen Entscheidungen endlich mitzunehmen und mitbestimmen zu lassen!
Ach ja, natürlich ist der %-Satz, bei dem ein Bürgerentscheid in Bayern als erfolgreich gewertet wird um die Hälft niedriger als in Bremerhaven. 
Hallo Parteien und Stadtverordnete, behandelt uns als Mitbürger und nicht als Stimmbürger!